Am letzten Tag, die drei Berner lagen bereits gefüttert im für die Rückfahrt gepackten Wagen, wollte ich noch ein letztes Mal als Versteckperson in ein Tiefversteck, einen sehr engen Kamin, klettern. Seit 38 Jahren betreibe ich diese Rettungshundeausbildung, zunächst 20 Jahre lang im BRH, danach im JHV und seit vielen Jahren im DVG. Außer ein paar Schrammen war noch nie etwas passiert, aber an diesem Samstag rutschte ich auf der Aluminiumleiter ab und krachte aus einer Höhe von gut fünf Metern auf den Boden. Glücklicherweise landete ich auf glattem Untergrund, Helm und Schutzkleidung verhinderten weitere Blessuren, aber ich kam mit unter dem Hintern liegenden Füßen und ausgesprochen üblen Schmerzen unten an. Zum Glück hatte ich Gefühl in den Beinen und konnte mich direkt nach dem Sturz mit den Händen hochdrücken, um die Beine nach vorne zu schieben und ausstrecken zu können. Der linke Fuß schien dabei nur durch den Einsatzstiefel am Bein gehalten zu werden, das rechte Knie, ohnehin schon mit Meniskusschaden, tat höllisch weh und der Oberschenkel schwoll immer stärker an.
An diesem 22.07. waren trotzdem alle verfügbaren Schutzengel bei mir. Kaum gelandet, hörte ich oben bereits Pia die anderen zusammentrommeln. Kurz darauf kletterte Hias zu mir herab und übernahm den Job, mich bis zum Eintreffen des Notarztes und der Bergungstruppe zu betreuen. Er stützte über mir stehend meine zitternden Oberschenkel, überlegte, ob und wie er und die übrigen Hundeführer mich eventuell mittels eines Bergegeschirrs aus dem Loch ziehen könnten. In der Theorie nett, praktisch jedoch unmöglich, da uns beiden sehr schnell klar war, dass ich nur mit einem Brustgurt aus dem engen Loch gezogen werden könnte.
Es dauerte dann eine ganze Weile bis der französische Notarzt, wenig erfreut in diese Katakombe klettern zu müssen, bei mir ankam. Ganz offensichtlich hatte er weit mehr Probleme mit Dunkelheit und Enge als ich. Trotz meiner Schmerzen war ich ganz sicher, dass die anderen schon dafür sorgen würden, mich wieder ans Tageslicht zu befördern. Der Arzt sprach genauso fließend Deutsch wie ich Französisch (es lebe das altsprachliche Abitur) und war in erster Linie bemüht, mir möglichst schnell zwei Druckluftinhalatoren in die Hand zu drücken und den Rest der Bergungstruppe von der Feuerwehr zu überlassen.
Selbstverständlich war mein Versteck nicht etwa im vorderen Bereich des Trainingsgeländes und natürlich auch nicht leicht erreichbar. Letztlich mussten erst die Aluminiumleiter entfernt und mir ein Brustgurt angelegt werden, danach wurde ich, inzwischen nach dem Genuss der beiden Inhalatoren halbwegs benebelt, mithilfe eines Krans wie der Korken aus der Flasche aus dem engen Schacht gezogen.
Vom Absturz bis zu dem Moment, in dem ich den stumm am Rande stehenden Hundefreunden „Hi Fans“ zurufen konnte, waren ca. zweieinhalb Stunden vergangen. Ich wurde dann in die nahegelegene Klinik in Orsay gebracht, wo sich im Laufe des Nachmittags herausstellte, dass ich links eine Fraktur des oberen Sprunggelenks und rechts eine Schrägfraktur des Oberschenkels hatte.
Samstagnachmittag – ideal. Nach hauptsächlich in lateinischen Fachausdrücken geführten Gesprächen (von wegen tote Sprache!) waren Ärzte und ich der Meinung, dass die chirurgische Versorgung doch nicht (wie ursprünglich geplant) bis Montag warten könne. So wurde ich gegen 21.00 Uhr in den OP geschoben und konnte gegen 2.00 den ersten verschwommenen Blick auf ein Ziffernblatt werfen.
Die braven Trainings-Mitstreiter hatten inzwischen meine Vereinskameraden in Bochum kontaktiert. Zwei von ihnen starteten direkt Richtung Frankreich, um gegen Mitternacht in Villejust von Pia in Empfang genommen zu werden, die mir noch vor meiner Operation mit kleinen Videos geschickt hatte, dass sie meine drei Hunde versorgt und beschäftigt hatte.
Am nächsten Morgen wurden dann die Lustigen Bären im eigenen Fahrzeug nach Hause transportiert und dort betreut, während ich links mit Schrauben und Draht, rechts mit Platten und Drähten in den gebrochenen Knochen und einem Gipsbein links sowie einer von der Hüfte bis zum Knöchel reichenden Orthese rechts, wie ein Käfer auf dem Rücken liegend dankbar die Morphiumpumpe bediente.
Nach fünf Tagen wurde ich dann vom ADAC liegend in acht Stunden in ein Bochumer Krankenhaus gefahren. Leider war meiner Bitte, mir zuvor einen Blasenkatheter zu legen, in Frankreich nicht entsprochen worden. So kam ich mit akutem Harnverhalt in der Bochumer Klinik an, ein Zustand, den ich niemandem wünsche.
Zwei Tage später hatte ich ursprünglich meine junge Hündin Gutemine ausstellen wollen. Per WhatsApp kamen nun außer den Hundesportlern auch noch die Freunde aus dem Schweizer Sennenhundverein ins Spiel. Nach nur einmaligem Training führte Petra, selbst Appenzellerbesitzerin, die Hündin vor und kam mit einem Vorzüglich aus dem Ring.
Die Röntgenkontrolle der Frakturen war direkt nach meiner Ankunft erfolgt, leider bekam ich die Aufnahmen erst eineinhalb Wochen später bei meinem Orthopäden erstmals zu sehen. Die Sprunggelenkfraktur war unzureichend adaptiert (tat nach Entfernen des Gipsschuhs entsprechend höllisch weh) und musste erneut operiert werden. Bis zur Nach-OP am 18.08. löste die kleinste Bewegung heftige Schmerzen aus, was besonders jeden Arztbesuch (immer per Liegendtransport) zur Tortur machte.
Überhaupt erträglich war das alles für mich nur dank meiner wunderbaren „Hundemafia“, wie mein Bruder die unermüdlichen Helfer aus dem Freundes- und Bekanntenkreis bald getauft hatte. Sie hatten ein großartiges Netzwerk aufgebaut, das nicht nur mich, sondern auch meine drei Hunde monatelang betreut hat. Während der ersten drei Monate durfte ich keins der Beine belasten, lag also entweder im Bett oder musste irgendwie mittels eines Rutschbrettes vom Bett in den (von einer Person fixierten) Rollstuhl robben. Waschen und Toilettenstuhlbenutzung funktionierten in den ersten vier Wochen nur mit Hilfe des zweimal täglich ins Haus kommenden Pflegedienstes.
Damit diese Leute überhaupt ins Haus konnten, mussten jeweils rechtzeitig die Berner in die Gitterboxen oder den Garten verfrachtet werden, da insbesondere Ole keineswegs damit einverstanden war, dass sich die Eindringlinge einfach so über mich beugten ...