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Geht nicht – gibt’s nicht!!!

Am 17.07.2023 nach der Sprechstunde ging es endlich los. Im VW-Transporter zu fünf Tagen Trümmertraining nach Villejust bei Paris. Natürlich mussten alle drei Berner mit, die Jüngste bekam Gelegenheit zu Trümmerbegehungen und Anzeigeübungen mit alten Bekannten und fremden Helfern, Ole durfte sich richtig ausarbeiten und Naseweis war als nette Gesellschaft dabei. Bei bestem Wetter übernachteten fast alle auf dem Trainingsgelände und verbrachten eine wirklich schöne und interessante Woche in einem kleinen Kreis Gleichgesinnter aus verschiedenen Organisationen und Vereinen aus vier Ländern.
Am letzten Tag, die drei Berner lagen bereits gefüttert im für die Rückfahrt gepackten Wagen, wollte ich noch ein letztes Mal als Versteckperson in ein Tiefversteck, einen sehr engen Kamin, klettern. Seit 38 Jahren betreibe ich diese Rettungshundeausbildung, zunächst 20 Jahre lang im BRH, danach im JHV und seit vielen Jahren im DVG. Außer ein paar Schrammen war noch nie etwas passiert, aber an diesem Samstag rutschte ich auf der Alu­miniumleiter ab und krachte aus einer Höhe von gut fünf Metern auf den Boden. Glücklicherweise landete ich auf glattem Untergrund, Helm und Schutzkleidung verhinderten weitere Blessuren, aber ich kam mit unter dem Hintern liegenden Füßen und ausgesprochen üblen Schmerzen unten an. Zum Glück hatte ich Gefühl in den Beinen und konnte mich direkt nach dem Sturz mit den Händen hochdrücken, um die Beine nach vorne zu schieben und ausstrecken zu können. Der linke Fuß schien dabei nur durch den Einsatzstiefel am Bein gehalten zu werden, das rechte Knie, ohnehin schon mit Meniskusschaden, tat höllisch weh und der Oberschenkel schwoll immer stärker an.

An diesem 22.07. waren trotzdem alle verfügbaren Schutzengel bei mir. Kaum gelandet, hörte ich oben bereits Pia die anderen zusammentrommeln. Kurz darauf kletterte Hias zu mir herab und übernahm den Job, mich bis zum Eintreffen des Notarztes und der Bergungstruppe zu betreuen. Er stützte über mir stehend meine zitternden Oberschenkel, überlegte, ob und wie er und die übrigen Hundeführer mich eventuell mittels eines Bergegeschirrs aus dem Loch ziehen könnten. In der Theorie nett, praktisch jedoch unmöglich, da uns beiden sehr schnell klar war, dass ich nur mit einem Brustgurt aus dem engen Loch gezogen werden könnte.

Es dauerte dann eine ganze Weile bis der französische Notarzt, wenig erfreut in diese Katakombe klettern zu müssen, bei mir ankam. Ganz offensichtlich hatte er weit mehr Probleme mit Dunkelheit und Enge als ich. Trotz meiner Schmerzen war ich ganz sicher, dass die anderen schon dafür sorgen würden, mich wieder ans Tageslicht zu befördern. Der Arzt sprach genauso fließend Deutsch wie ich Französisch (es lebe das altsprachliche Abitur) und war in erster Linie bemüht, mir möglichst schnell zwei Druckluftinhalatoren in die Hand zu drücken und den Rest der Bergungstruppe von der Feuerwehr zu überlassen.

Selbstverständlich war mein Versteck nicht etwa im vorderen Bereich des Trainingsgeländes und natürlich auch nicht leicht erreichbar. Letztlich mussten erst die Aluminiumleiter entfernt und mir ein Brustgurt angelegt werden, danach wurde ich, inzwischen nach dem Genuss der beiden Inhalatoren halbwegs benebelt, mithilfe eines Krans wie der Korken aus der Flasche aus dem engen Schacht gezogen.

Vom Absturz bis zu dem Moment, in dem ich den stumm am Rande stehenden Hundefreunden „Hi Fans“ zurufen konnte, waren ca. zweieinhalb Stunden vergangen. Ich wurde dann in die nahegelegene Klinik in Orsay gebracht, wo sich im Laufe des Nachmittags herausstellte, dass ich links eine Fraktur des oberen Sprunggelenks und rechts eine Schrägfraktur des Oberschenkels hatte.

Samstagnachmittag – ideal. Nach hauptsächlich in lateinischen Fachausdrücken geführten Gesprächen (von wegen tote Sprache!) waren Ärzte und ich der Meinung, dass die chirurgische Versorgung doch nicht (wie ursprünglich geplant) bis Montag warten könne. So wurde ich gegen 21.00 Uhr in den OP geschoben und konnte gegen 2.00 den ersten verschwommenen Blick auf ein Ziffernblatt werfen.

Die braven Trainings-Mitstreiter hatten inzwischen meine Vereinskameraden in Bochum kontaktiert. Zwei von ihnen starteten direkt Richtung Frankreich, um gegen Mitternacht in Villejust von Pia in Empfang genommen zu werden, die mir noch vor meiner Operation mit kleinen Videos geschickt hatte, dass sie meine drei Hunde versorgt und beschäftigt hatte.

Am nächsten Morgen wurden dann die Lustigen Bären im eigenen Fahrzeug nach Hause transportiert und dort betreut, während ich links mit Schrauben und Draht, rechts mit Platten und Drähten in den gebrochenen Knochen und einem Gipsbein links sowie einer von der Hüfte bis zum Knöchel reichenden Orthese rechts, wie ein Käfer auf dem Rücken liegend dankbar die Morphiumpumpe bediente.

Nach fünf Tagen wurde ich dann vom ADAC liegend in acht Stunden in ein Bochumer Krankenhaus gefahren. Leider war meiner Bitte, mir zuvor einen Blasenkatheter zu legen, in Frankreich nicht entsprochen worden. So kam ich mit akutem Harnverhalt in der Bochumer Klinik an, ein Zustand, den ich niemandem wünsche.

Zwei Tage später hatte ich ursprünglich meine junge Hündin Gutemine ausstellen wollen. Per WhatsApp kamen nun außer den Hundesportlern auch noch die Freunde aus dem Schweizer Sennenhundverein ins Spiel. Nach nur einmaligem Training führte Petra, selbst Appenzellerbesitzerin, die Hündin vor und kam mit einem Vorzüglich aus dem Ring.

Die Röntgenkontrolle der Frakturen war direkt nach meiner Ankunft erfolgt, leider bekam ich die Aufnahmen erst eineinhalb Wochen später bei meinem Orthopäden erstmals zu sehen. Die Sprunggelenkfraktur war unzureichend adaptiert (tat nach Entfernen des Gipsschuhs entsprechend höllisch weh) und musste erneut operiert werden. Bis zur Nach-OP am 18.08. löste die kleinste Bewegung heftige Schmerzen aus, was besonders jeden Arztbesuch (immer per Liegendtransport) zur Tortur machte.

Überhaupt erträglich war das alles für mich nur dank meiner wunderbaren „Hundemafia“, wie mein Bruder die unermüdlichen Helfer aus dem Freundes- und Bekanntenkreis bald getauft hatte. Sie hatten ein großartiges Netzwerk aufgebaut, das nicht nur mich, sondern auch meine drei Hunde monatelang betreut hat. Während der ersten drei Monate durfte ich keins der Beine belasten, lag also entweder im Bett oder musste irgendwie mittels eines Rutschbrettes vom Bett in den (von einer Person fixierten) Rollstuhl robben. Waschen und Toilettenstuhlbenutzung funktio­nierten in den ersten vier Wochen nur mit Hilfe des zweimal täglich ins Haus kommenden Pflegedienstes.

Damit diese Leute überhaupt ins Haus konnten, mussten jeweils rechtzeitig die Berner in die Gitterboxen oder den Garten verfrachtet werden, da insbesondere Ole keineswegs damit einverstanden war, dass sich die Eindringlinge einfach so über mich beugten ...
Auch für Junghunde lohnt sich der weite Weg nach Villejust: Gutemine am Vortag meines Unfalls im Bällebad (im Hintergrund steht Hias)
Ohne den Einsatz dieses Gerätes war die Bergung nicht möglich
Etliche Helfer waren zu meiner Bergung auf das Gelände in Villejust gekommen
Ohne den Einsatz dieses Gerätes war die Bergung nicht möglich
Etliche Helfer waren zu meiner Bergung auf das Gelände in Villejust gekommen
In dieser Zeit wurde ich praktisch rund um die Uhr von einem Bodyguard „bewacht“. Anscheinend hatten alle am meisten Sorge, dass ich zu früh versuchen könnte, die kaputten Haxen wieder zu belasten. Dabei war diese Sorge wirklich unbegründet! Mit Vor­erkrankungen Kniearthrose und Rheuma war meine größte Angst, nie wieder aus dieser hilflosen Lage herauszukommen, daher war ich zähneknirschend ein absolut braver Patient, habe in den ersten Monaten mit einer Sprachapp täglich etwas Französisch gelernt und jeden Tag sieben Wissensspiele gespielt. Dadurch abgelenkt konnte ich die Opioide nach der zweiten OP in Bochum gleich absetzen und kam mit „einfachen“ Schmerzmitteln zurecht.

Ein positiver Einschnitt war der Tag, an dem ich endlich ohne weitere Hilfe allein in den Rollstuhl kam. Von Stund an konnte ich morgens die Hunde einzeln in den Garten lassen und füttern, bevor der Pflegedienst ab 6.30 Uhr kam. Was so einfach klingt, dauerte gut und gerne 60 Minuten und kostete mich viel Kraft. Apropos Kraft: die Physiotherapeutin, die ebenfalls zweimal wöchentlich ins Haus kam, war ein weiteres wichtiges Puzzleteil meiner Genesung.

Nachdem ich einigermaßen mit dem Rollstuhl umgehen und auch etwas länger sitzen konnte, sorgte die „Mafia“ dafür, dass ich über eine Rampe zur Haustür raus und durch die Einfahrt in den Garten gelangen konnte. Welch Wohltat, nach Wochen im Haus mal wieder die Sonne zu spüren!

Zu den menschlichen hatten sich inzwischen in großer Einigkeit vier Berner Bodyguards gesellt, Gutemine, ihr Vater Ole, dessen Mutter Naseweis und ihre Mutter Käthe lagen in unmittelbarer Nähe des Rollstuhls und beobachteten mich genau. Käthe lebt normalerweise als Einzelhund bei Freund Kalle, der sich mit meiner Freundin Anke aus Cuxhaven wochenlang ohne mein Wissen abstimmte, so dass ich nie alleine war. Weitere Freunde aus dem DVG und SSV holten zwei- bis dreimal pro Woche Ole, Naseweis oder Gutemine ab, um ihnen auf einem der Hundeplätze etwas Beschäftigung zu verschaffen. Mit Naseweis haben Petra und Annelie sogar je eine Prüfung bestanden, während der „undankbare“ Ole zwar die Nasenarbeit der Fäche A sicher bestand, Freund Bernd dann aber in der Unterordnung den bösen Finger zeigte und durchfiel. Gutemine, inzwischen einjährig, durfte interessante neue Eindrücke sammeln, weil Petra sie zur Ausbildungswoche des SSV nach Banzendorf mitnahm.

Nachdem ich endlich vorsichtige Aufstehversuche machen durfte, führte die erste Autofahrt (unter Mitnahme von drei Bernern, einem Rollstuhl zwei Gehhilfen im Dacia Dokker ...) Kalle und mich – natürlich zu einer Rettungshundeprüfung … Nein, nicht zur Unterordnung auf einen Hundeplatz, sondern auf das Trümmertrainingsgelände nach Leverkusen.

Dort habe ich zum ersten Mal wieder eine normale Toilette selbstständig aufsuchen können (bei mir im Haus hinderten mich noch einige Zeit die blöden drei Stufen, die ins Bad führen an dieser banalen und doch so wichtigen Aktion). Im Dezember musste dann („ach,das ist ein winziger Schnitt, das machen wir eben in Lokalanästhesie“) der ständig störende Draht aus dem Wadenbein entfernt werden.

Da es ja eine Kleinigkeit war, gab ich drei Tage später das erste Seminar im DVG und ging einen Tag danach zum ersten Mal ins Kieser Studio. Ganz so winzig war der Eingriff leider doch nicht, ich hatte mir im Krankenhaus einen multiresistenten Keim eingefangen, so dass ich eine saftige Wundheilungsstörung entwickelte und erneut wochenlang keinen Schuh anziehen konnte.

Erst im Januar habe ich wieder in meiner Praxis arbeiten können. Ich laufe noch nicht „in natürlicher Gangart“, aber ohne Gehhilfe. Ich arbeite wieder voll und beschäftige meine drei Hunde selbst. Über Ostern war ich mit Karen vier Tage in Schleswig Holstein und habe mit Naseweis die ersten von Karen gelegten Fährten abgesucht. Glitschiger Untergrund macht mich noch sehr unsicher, aber mit diesem Hund traue ich mich doch schon wieder in den Acker.

Ich hatte großes Glück bei meinem Unfall in Frankreich und durfte erfahren, dass sowohl mein gesamtes Praxisteam als auch alle genannten und ganz viele weitere (Hunde)-Freunde viel wertvoller als ein dicker Lottogewinn sind! Euch/Ihnen allen danke ich an dieser Stelle von ganzem Herzen!

ANDREA HERZ
Als ich endlich aus dem Bett in den Rollstuhl konnte, konnten auch die Hunde wieder lachen
Die Röntgenaufnahmen meiner Frakturen
Als ich endlich aus dem Bett in den Rollstuhl konnte, konnten auch die Hunde wieder lachen
Geht es?
Orthese
Vom Rollstuhl aus habe ich „Gebrauchsgegenstände" durch die offene Tür in den Garten geworfen und von Naseweis apportieren lassen.
Fotos: Andrea Herz
Die Röntgenaufnahmen meiner Frakturen
Geht es?
Orthese
Vom Rollstuhl aus habe ich „Gebrauchsgegenstände" durch die offene Tür in den Garten geworfen und von Naseweis apportieren lassen.