In der dunklen Unterführung am Berliner Ostbahnhof stoppt ein schwarzer Jaguar-SUV. Aus der Beifahrertür steigt eine Frau, auf dem Arm zwei winzige, zitternde Hundewelpen. Am Straßenrand steht Birgitt Thiesmann von VIER PFOTEN, sie wurde als vermeintliche Käuferin zu diesem Übergabeort bestellt. Die Frauen wechseln ein paar Worte, dann geht alles ganz schnell: Zehn Polizist:innen, zum Teil in Zivil, umstellen den Wagen und nehmen die Händlerin sowie ihren Komplizen am Steuer fest. Im Auto finden die Beamt:innen noch einen weiteren kleinen Yorkshire-Terrier, später in der Wohnung kommen noch einmal drei Hundebabys sowie gefälschte Impfausweise dazu. Einige der Kleinen sind höchstens sechs Wochen alt – eine Straftat, denn sie sind viel zu jung, um von der Mutter getrennt zu werden. Welpen müssen in Deutschland bei der Abgabe mindestens 12 Wochen alt sein. Kommen sie aus dem Ausland, sind es sogar 15 Wochen. Erst dann greift der Impfschutz gegen Tollwut, eine Krankheit, die für Menschen und Tiere tödlich verläuft. Das Paar ist der Polizei bekannt und hat schon mehrfach kranke und viel zu junge Rassewelpen aus Polen verkauft. Eines ihrer Opfer ist Silke K*. Sie hatte VIER PFOTEN den Kauf eines sehr kranken Tieres von diesen Händlern gemeldet. Ihr Yorkshire-Terrier Hedi bekam gleich nach dem Kauf Durchfall, dann Zitteranfälle und fiel schließlich ins Koma. In der Tierklinik wurden Parasiten und das lebensgefährliche Parvovirus diagnostiziert. Das die kleine Hündin überlebt hat, ist ein Wunder. Nur starke Antibiotika und umfassende Pflege retteten sie. Neben der steten Sorge um das Tier hatte Silke K.* Behandlungskosten von über 4.000 €. Und die kleine Hedi wird wahrscheinlich ihr Leben lang tierärztliche Unterstützung brauchen.
Organisierte Kriminalität
Europaweit werden vor allem in den östlichen Ländern massenweise Hunde unter schlimmsten Bedingungen produziert. Viel zu jung, mit gefälschten Papieren, oft schon todkrank und mit Antibiotika kurzfristig fit-gespritzt kommen die Tiere über das Internet auf den Markt. Die Anbieter:innen können ihr Geschäft auf vielen Onlineplattformen wie Quoka.de, Kleinanzeigen.de und Markt.de anonym betreiben. Das Leid trifft nicht nur die hilflosen Welpen. In den Vermehrungsstationen müssen die Muttertiere unter katastrophalen Bedingungen wie am Fließband gebären. Sobald die Hündinnen dazu nicht mehr in der Lage sind, werden sie rücksichtslos entsorgt.
VIER PFOTEN kämpft seit Jahren aktiv gegen dieses skrupellose Geschäft. 2023 wurden allein in Deutschland 803 Hunde aus illegalem Handel beschlagnahmt. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs, die Dunkelziffer ist riesig. „Meist kommen bei Kontrollen nur Zufallsfunde ans Licht“, sagt Thiesmann. In der gesamten EU werden Tiere aus Osteuropa verkauft. Hauptabnehmer sind Zwischenhändler in Belgien und den Niederlanden, die sie in alle Welt verschachern.
Internationale Zusammenarbeit
Regelmäßig deckt VIER PFOTEN zusammen mit der Polizei durch Scheinkäufe den kriminellen Handel auf. Das Rechercheteam informiert die Veterinärämter, erstattet Anzeige und bringt die Fälle an die Öffentlichkeit. „Der Welpenhandel wird grenzüberschreitend von kriminellen Banden kontrolliert, genauso wie der Drogen- oder Menschenhandel. Deshalb ist die internationale Zusammenarbeit mit den Behörden sehr wichtig“, betont Thiesmann. Dazu gehören auch Workshops, bei denen VIER PFOTEN seine Erkenntnisse an die Polizei, den Grenzschutz und den Zoll in Deutschland und Österreich weitergibt. Außerdem fanden im vergangenen Jahr Fortbildungen für rund 500 Teilnehmer:innen aus den Verwaltungs- und Vollzugsbehörden der EU statt. Die Zusammenarbeit macht Fortschritte. So hat die EU-Kommission 2021 den illegalen Handel mit Heimtieren als organisierte Kriminalität anerkannt. Dennoch wurden bisher weder auf EU-Ebene noch in Deutschland durchgreifende Gesetze verabschiedet.
Langfristige Folgen
Wenn die Welpen aus den Vermehrungsstationen den illegalen Handel überleben, leiden sie meist ihr Leben lang. Nicht nur gesundheitliche Probleme belasten die Tiere und ihre Menschen. Viele Hunde bleiben verhaltensauffällig, wenn sie nicht von ihrer Mutter aufgezogen werden und sozialisiert wurden und das Zusammenleben mit Menschen in den ersten Wochen ihres Lebens erlernen konnten.
Für Yorkshire-Terrier Hedi ist der katastrophale Start ins Leben viel besser ausgegangen, als zu erwarten war. Die kleine Hündin wurde mit der Flasche aufgezogen und entwickelte großes Vertrauen zu ihrer Familie. Silke K.* ist sehr froh darüber, dass die Betrüger:innen gefasst wurden. Diese werden sich nun wegen des Verdachts auf gewerbsmäßigen Betrug, Verstoß gegen das Tierschutzgesetz und Urkundenfälschung vor Gericht verantworten müssen. Zudem fordert Silke K.* von ihnen die Behandlungskosten für Hedi ein. Doch dafür ist Geduld nötig: Die Entscheidung des Gerichts ist erst in ein bis zwei Jahren zu erwarten.