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    Die Lena-Lustig-Kolumne

Stress bei uns Hunden: Erkennen, Verstehen, Handeln

Oftmals begegne ich Hundekumpels von mir, die auf Krawall gebürstet daherkommen. Manchmal können Hundehalter die Anzeichen von Stress bei uns Hunden nicht richtig einordnen. Mir fällt auf, dass ich Hunde sehe, die sich in starkem inneren Alarmzustand befinden, während ihre Menschen dies fälschlich als „fröhliche Erschöpfung“ oder ausgelassenes Spiel deuten. Diese Fehleinschätzungen können uns Hunde belasten und im sozialen Miteinander sogar gefährlich werden.
Ein Hund, der aus Überforderung laut wird, gilt oftmals als aggressiv. Dabei bräuchte er vielleicht einfach nur etwas Abstand, um sich sicher zu fühlen. In Gruppensituationen wird Mobbing übersehen, weil es wie Toben aussieht. Manchmal wird in der Erziehung sogar geschimpft, obwohl mein Kumpel schlicht nicht mehr ansprechbar ist, sein Körper befindet sich längst im Ausnahmezustand. Ein übererregter Hundefreund stellt seine Besitzer im Alltag und Training vor echte Herausforderungen, das weiß ich, denn darüber wird zuhause oft berichtet. Die Frage, die es zu beantworten gilt, ist wie kann man meinem Freund helfen, der kaum zur Ruhe kommt, ständig auf dem Sprung ist oder sich von jedem Reiz ablenken lässt?
Zunächst sollte man sich klar machen, was für uns Hunde Stress bedeutet.

Der Begriff „Stress“ geht auf Dr. Hans Selye zurück, der ihn als eine körperliche Alarmreaktion auf innere oder äußere Reize definierte. Dabei wird zwischen positivem (eustress) und negativem (distress) Stress unterschieden. Ein Beispiel für positiven Stress ist etwa ein spannendes Jagdspiel, das zwar körperlich fordert, aber als motivierend empfunden wird. Negativer Stress hingegen entsteht immer dann, wenn sich mein Hundefreund überfordert, ausgeliefert oder unsicher fühlt. Das kann körperlich oder seelisch / mental sein.

Wie stark wir Hunde auf Reize reagieren, hängt vom einzelnen Individuum ab. Während der eine schon bei Wind und „Wetter“ unruhig wird, bleibt der andere selbst bei Gewitter gelassen. Sehr schlimm ist es, wenn ein oder (mehrere) Grundbedürfnis(se) wie zum Beispiel: Hunger, Durst, Schlaf oder Bewegungsfreiheit dauerhaft nicht erfüllt werden können, so entsteht körperlicher Stress, aber auch emotionale Belastungen wie Isolation, Unverständnis oder Überforderung in sozialen Situationen führen zu Stressreaktionen.
Illustration: Anneke Freudenberger
Wodurch wird Stress ausgelöst?
Typische Auslöser für negativen Stress:
Fehlende Befriedigung grundlegender Bedürfnisse (Hunger, Durst, Schlaf, Sozialkontakt)
Schmerz oder Krankheit
Überforderung durch mangelnde Führung oder zu viele Reize
Angst und Bedrohung
Zwang, Druck, Strafen
Häufiges Alleinsein oder plötzliche Veränderungen
Verlust einer Bezugsperson oder ein Umzug

Auch sogenannte positive Reize können stressen:
Übermäßiger körperlicher Anspruch (z. B. zu viel Spiel oder Sport)
Ständige Action oder Aufregung im Alltag
Viele Gäste oder ständiges Kommen und Gehen
Jagd- und Beutespiele in Endlosschleife
Intensive Aufmerksamkeit ohne Pausen

Nicht zu beeinflussen, aber ebenfalls stressauslösend:
Hormonschübe (Pubertät, Läufigkeit)
Trächtigkeit oder hormonelle Störungen

Was passiert im Körper, wenn wir Hunde gestresst sind?
Gerät unsereiner in eine stressige Situation, produziert sein Körper Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol. Diese versetzen den Organismus in höchste Alarmbereitschaft: Herzfrequenz und Blutdruck steigen, die Muskulatur wird durchblutet, während Verdau­ung und Denkprozesse zurückgefahren werden. Dieser Zustand ist für kurzfristige Gefahren sinnvoll, doch wenn der Stress anhält, wird er zum Problem. Wir können nicht abschalten, unsere Konzentration nimmt ab und Lernprozesse werden blockiert.

Je nach Persönlichkeit reagieren wir Hunde mit Flucht, Angriff, überdrehtem Verhalten, Erstarren, Jagdverhalten, übersteigertem Schutz- oder Sexualverhalten. Besonders problematisch wird es, wenn Stress zur Dauerschleife wird; etwa bei ängstlichen Tierschutzhunden, bei Hunden in belastenden Lebenssituationen. Chronischer Stress schwächt das Immunsystem und kann zu körperlichen Symptomen wie Hautproblemen, Verdauungsstörungen oder auffälligem Verhalten führen auch Darmthematiken können in diesen Bereich hineinfallen.

Woran erkennen nun Hundebesitzer, dass wir Hunde gestresst sind?
Typische Anzeichen für Stress bei uns Hunden können sein:
Hecheln, Zittern, Muskelanspannung
Unruhe, Winseln, übermäßiges Bellen
Verweigerung von Futter oder Leckerli
Überreaktionen, Aggressivität, Rückzug
Durchfall, Erbrechen, ständiges Schlecken
Übertriebene Körperpflege oder stereotype Bewegungen (z. B. im Kreis drehen oder in Dauerschleife in die eigenen Rute beißen.)

Was tun bei Stress?
Wer diese Symptome bei unseren Hund beobachtet, sollte nicht vorschnell mit Training oder Korrektur reagieren, sondern erst einmal herausfinden, woher die Überforderung kommt. Wenn wir gestresst sind, können wir Hunde nichts lernen. Wie bei unseren Menschen blockiert Stress das Gedächtnis und die Aufnahmefähig­keit. Bevor unsere Menschen mit Übungen (Training) weitermachen, müssen wir erst wieder zur Ruhe kommen: Durch Rückzug, Sicherheit, Entspannung und Struktur. Erst wenn Körper und Geist aus dem Alarmmodus heraus sind, wird Lernen wieder möglich sein.

Bis zum nächsten Mal. Kommt entspannt durch den Sommer.

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